Arbeit

Eine Wirtschaft, die unser Geflecht des Gebens blühen lässt

Wirtschaft hat eigentlich nur einen Sinn: zum Gedeihen des menschlichen Zusammenenlebens beizutragen. Die heutige Marktwirtschaft ist eine Wirtschaftsform, die durch ihre Freiräume und den Wettbewerb viel Kreativität und Eigensinn freisetzt und so Wohlstand schafft. Ihr Grundprinzip ist aber Habgier – logisch, dass das unser alltägliches Zusammenleben beeinflusst. Gibt es dazu wirklich keine Alternative?

Baby machte Urlaub

Die meisten Menschen aus unserem Freundeskreis verdienen ihr Geld in unkonventionellen und alternativen Arbeits- und Einkommenszusammenhängen. Aber wenn es hier auch mehr Selbstbestimmung und weniger Hierarchie als in herkömmlichen Arbeitsmilieus geben mag, so gelten für uns alle die ganz „normalen“ Zwänge der postindustriellen Marktwirtschaft und der Staatsbürokratie, die in unser Wirtschaften eingreift und es reguliert. Ökonomische Strukturen prägen unsere Art und Weise zu handeln, sie formen Charaktere und Einstellungen. Sie haben große Auswirkungen auf die Tugenden und Reaktionsweisen, die wir als Menschen brauchen, wenn wir ein glückliches und gutes Leben führen wollen.

Immer mehr Bereiche unseres Leben werden kommerzialisiert; es wird immer selbstverständlicher, alle paar Jahre den Arbeitsplatz zu wechseln und damit den Wohnort und die soziale Umgebung, an dem man gerade erst mehr oder weniger heimisch geworden ist. Bis in die feinsten Verästelungen unseres persönlichen Erlebens dringt die Marken- und Konsumwelt mit ihren Idealen und Zwängen vor. „Assessment-Center“ und Managementtrainings lehren uns, wie wir uns hinsichtlich der Ansprüche optimieren können, die Unternehmen von uns verlangen, unabhängig davon wie dumm, unethisch oder unsinnig die Produkte und Geschäfte dieser Unternehmen sind. Nicht nur bei Top-Managern, sondern generell in unserer Gesellschaft ist die Mentalität der Ellbogenkultur tief verinnerlicht. All das sind Beispiele für die Auswirkungen und Ansprüche der modernen Wirtschaft, die eine Kultur der Tugenden aushöhlen und dafür verantwortlich sind, dass Menschen immer mehr wichtige soziale Fähigkeiten wie Achtsamkeit, Umsicht, Sorge und die Anerkennung unserer Abhängigkeit von anderen verlieren.(1)

Die moderne Gesellschaft des 20. Jahrhunderts ist zunehmend blind und ignorant gegenüber dem Geflecht des Gebens und Nehmens geworden, das unser individuelles wie zwischenmenschliches Leben trägt und ermöglicht: „Marktbeziehungen können nur insofern aufrechterhalten werden, als sie Teil bestimmter Formen lokaler Beziehungen sind, die mit dem Markt nichts zu tun haben, Teil von Beziehungen des nicht auf Berechnung und Vorhersage beruhenden Gebens und Nehmens, und nur so können sie zum Gedeihen des Ganzen beitragen, statt, wie es so oft der Fall ist, die Gemeinschaftsbeziehungen zu untergraben und zu zerstören.„(2)

Aus diesem Grund setzen sich die Menschen rund um den „Dritten Ort“ nicht nur für ökonomische Strukturen ein, die eine sinnvolle und erfüllende Tätigkeit für jeden von uns ermöglichen. Wir wissen, dass wir für unsere Form von Gemeinschaf neue Wirtschaftsformen brauchen, die unsere Kultur des Zusammenlebens stützen und das Geflecht achtsamen Gebens und Nehmens blühen lassen. Dass es in unserem alltäglichen wirtschaftlichen Verhalten als ganz „natürlich“ vorgesehen ist, dass jeder selbst auf seinen Gewinn achten muss und der eigene Vorteil wichtiger ist als der Nachteil des anderen, halten wir für pervers.

Sicher, manches wird sich nur durch ein politisches Engagement verändern lassen. Wir sind aber skeptisch, wenn uns eine einzige Problematik als entscheidender Punkt für oder gegen die Etablierung wirtschaftlich gerechter und befriedigender Verhältnisse genannt wird, sei dies nun der „Neoliberalismus“, globalisierte Märkte, das Patriarchat, Eigentumsverhältnisse an Produktionsmitteln, Staatskapitalismus, fossile Energiestruktur, moderne Disziplinar- und Selbsttechnologien, Zinsökonomie, Wirtschaftswachstum, Tauschökonomie, Habgier, ökonomischer Individualismus, moderne Technik usw. Es gibt viele Punkte, an denen man ansetzen muss, je nach persönlicher Neigung und dort, wo die politischen Veränderungschancen am größten sind.

Aber da wir mehr wollen als auf ein vermeintliches Paradies nach der kommenden Revolution zu warten, werden wir in unserem Alltag andere Wirtschaftsweisen finden müssen. Wir stehen an dieser Stelle noch am Anfang: Es wird eine schwierige, aber dennoch notwendige Aufgabe sein, uns an manchen Stellen gegenüber den Kräften der äusseren Märkte und Wirtschaftskreisläufe abzuschotten oder den Druck zumindest abzupuffern. Jenseits des üblichen ökonomischen Kalküls werden wir für unseren Kreis gerechte Lösungen für große Einkommens- und Wohlstandsunterschiede finden müssen, für Arbeitsplatzmobilität, Finanzierung von Bildung und Ausbildung. Große Lust macht es uns neue lokale Wirtschaftsformen zu erkunden wie Regiogeld, Tauschkreise, Schwundgeld, Gemeinschaftskasse oder Schenkökonomie.

Für Hinweise und Mitarbeit an diesen Punkten sind wir sehr dankbar. Das Thema schwingt immer wieder bei unseren anderen Projekten und unserem generellen Nachdenken mit, hat aber bisher keinen eigenen Namen.

(1) Zwei Einschränkungen sind notwendig: Natürlich gibt es in der modernen Gesellschaft neben der Wirtschaft andere starke Kräfte, die dafür verantwortlich sind. Dazu gehört die immer weiter voranschreitenden Anonymisierung und Vereinsamung unserer Lebenwelt, die jahrhundertealte Ideologie des nur sich selbst genügenden Individuums und die Konditionierungen, mit denen der moderne Staat uns und unser Zusammenleben optimieren möchte. Und andererseits besteht kein Anlaß für Vergangenheitsverklärung: Wir haben durch und mit diesen Entwicklungen auch persönliche Freiheit, bessere Lebensbedingungen, eine enorme Bereicherung und Erweiterung unseres kulturellen Lebens und neue Kompetenzen gewonnen.

(2) Alasdair Macintyre: Die Anerkennung der Abhängigkeit. Über menschliche Tugenden“; Hamburg 2001; S. 139