Liebe

Grundlagen einer Liebe im Plural

Wer mehr als eine(n) liebt und mehr will als sexuell seinen „Ego-Trip“ auszuleben, muss sich eine neue Lebensweise mit den PartnerInnen aufbauen. Und wer keine Lust mehr auf die künstlich geputschte Leistungsschau hat, die heute „erotische Kultur“ oder „Beziehungsmarkt“ genannt wird, muss neue Wege gehen. Deshalb beschäftigten wir uns mit alternativen Formen von Liebe, Begehren, Füreinander Sorgen und Miteinander Leben.

TorteMenschen, die mit mehr als einem anderen Menschen Bett und Tisch teilen, müssen für sich in einer Vielzahl von Themenfeldern neue, angemessene Lösungen entwickeln, etwa bei Familiengestaltung, Wohnformen, Elternschaft, Unterhalt, Gesundheit, persönlicher Vertretung, Erbrecht usw. Unsere heutige Gesellschaft, die traditionellerweise ihr Fundament in der monogamen Familie sieht, hat nur wenig anzubieten, auf das bei diesen Themen aufgebaut werden kann.

Wenn es jedoch um das Werben und Flirten, das Pflegen von Liebschaften und Partnerschaften, um erotische Grundversorgung, Attraktivität und Annäherung geht, liegt es nahe, auf herkömmliche Modelle zurückzugreifen, wie sie in unserer modernen, liberalen und individualisierten Gesellschaft üblich sind. Mehr noch, Lebensstile, die sich zu „Polyamory“, „Freier Liebe“, „Offenen Beziehungen“ und ähnlichem bekennen, können als ganz folgerichtiger Ausdruck der sozialen Bindungslosigkeit, Beliebigkeit und Anonymität verstanden werden, die durch die voranschreitende soziale Atomisierung der konsumorientierten und durchkommerzialisierten Gesellschaften des Westens entstehen. Es wäre also ganz natürlich, sich an dem zu orientieren, wie auch sonst in der Gesellschaft „Beziehungen“ gepflegt und angebahnt werden.

BarbiecueAndererseits ist in sozialen Zusammenhängen, in denen Menschen mehr als einen anderen Menschen lieben und begehren und diesen Wunsch mit Einverständnis aller beteiligten auch nachgehen wkönnen, oft der Wunsch nach einem anderen zwischenmenschlichen Umgang und einem anderen erotischen Verständnis zu hören. Etwa wenn mensch den Druck herkömmlicher Schönheitsideale beklagt, sich bessere Kontaktmöglichkeiten für schüchterne Menschen wünscht oder nach Möglichkeiten erotischer Erfüllung für partnerlose oder unattraktive Menschen fragt. Vor allem aber stellt sich die Frage nach einem anderen sozialen und zwischenmenschlichen Netz, wenn es um den fairen, umsichtigen und pflegenden Umgang mit den Partnerinnen und unter den verschiedenen Partnerinnen geht, um den Kontakt zwischen den Geschlechtern (und innerhalb der Geschlechter) oder um die Bewältigung von Einsamkeit und Eifersucht.

Wir glauben, dass eine solche neue, andere Kultur der Begegnung möglich ist und setzen uns für ihre Verwirklichung ein. Sie wird aber nicht aus dem Nichts entstehen und es ist naiv zu glauben, dass gütige Menschenliebe oder sexuelle Unverklemmtheit allein ausreichen, um sie zum Leben zu erwecken. Eine solche alternative Kultur der Liebe und des Begehrens im Plural wird es nur geben, wenn sie durch Gebräuche, soziale Fertigkeiten, Institutionen, Sitten, Rituale, Tugenden, Funktionen, „Ämter“ und ein soziales Netzwerk gestützt und genährt wird. Entsprechend erforschen wir praktisch, was dafür nötig ist.

Stiefel und FrauenschuheDabei mag uns das zwischenmenschliche Know How und das soziale Wissen von vergangenen und zeitgenössischen Gesellschaften, Völkern und Milieus helfen, die nicht-monogame oder außerpartnerschaftliche Liebschaften durch vielfältige Einrichtungen gestützt und gepflegt haben. Die Beschäftigung mit ihnen muss natürlich kritisch erfolgen, Verklärungen und Projektionen helfen wenig. Kreativität ist gefragt, weil wir durch unser Leben in Zivilisationen des 21. Jahrhunderts die modernen Herausforderungen, Lebensumstände und Kenntnisse in Rechnung stellen müssen. Zudem sollten alle uns zur Verfügung stehenden modernen Wissensquellen intelligent genutzt werden: Die fortlaufenden Erkenntnisse der Wissenschaft sind eine wertvolle Bereicherung für die Beschäftigung mit solchen Lebensformen. (Allerdings wäre es naiv, die lebensweltlichen, kulturellen, institutionellen und weltanschaulichen Einflüsse und Beschränkungen zu übersehen, denen diese Erkenntnisse unterliegen.)

Das sind so ungefähr die Gründe, warum wir uns immer wieder mal in oder für Veranstaltungen und Organisationen engagieren, die mit Polyamory, verantwortliche Nicht-Monogamie u.ä. Themen zu tun haben.